Alexandra Föderl-Schmid FAQ

Der Wert der Zeit

Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin und Co-Herausgeberin der Tageszeitung Standard, hätte wahrscheinlich nichts gegen Tage, die nach Stunde 24 noch weitergingen.
Vielleicht würde sie dann ihr Handy weglegen und sich auf ein Buch einlassen. Vielleicht würde sie sich aber auch Maßnahmen gegen die Filterbubble überlegen oder neue Modelle, um die Karrieren von Frauen, die auch Mütter sind, zu fördern. Ein Gespräch über die Zukunft des Journalismus, schöne Sprache und warum man in der Früh wieder aus dem Fenster schauen sollte, anstatt Siri nach dem Wetter zu fragen.

„Man ist immer weniger bereit, viel zu arbeiten“ haben Sie bei einer der Diskussionen beim FAQ Bregenzerwald als These in den Raum gestellt. Woher diese Einschätzung?

Ich merke, dass den Leuten die Work Life-Balance immer wichtiger wird. Was noch für meine Generation gegolten hat, also dieser extreme Leistungsgedanke und der Wunsch, unbedingt vorwärts zu kommen, ist für viele kein Ziel mehr. Ich sehe bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen immer wieder, dass sie bewusst sagen, sie wollen das nicht mehr. Was sie wollen, ist mehr persönlicher Freiraum für mehr Freizeit und die Kinderbetreuung, die bei uns übrigens auch von Männern als absolut selbstverständlich erachtet wird. Wir haben Fälle, bei denen beide Elternteile bei uns im Haus sind – und da ist es meistens so, dass der Mann die lange Karenzzeit macht.

Das ist schon ungewöhnlich, oder?

Ja, ist es und wir sind hier durchaus Vorreiter. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir beim Standard 50 Prozent Frauen in Führungspositionen haben, auch Mütter. Ich glaube, es muss selbstverständlicher werden, dass sich beide Elternteile um die Kinder kümmern. Egal ob Mann oder Frau, bei uns kann jede und jeder Karriere machen. Wir haben Mütter und Väter, die in der Ressortleitung  sind und nicht Fulltime arbeiten. Das wurde am Anfang mit Sorge betrachtet, aber die Bedenken haben sich gelegt.  

Beim FAQ Bregenzerwald ging es darum, Potentiale für eine gute Zeit zu schaffen und zu finden. Was bedeutet eine gute Zeit für Sie?

Für mich ist eine gute Zeit eine Auszeit. Sich bewusst rausnehmen, ein paar Stunden nicht auf das Handy schielen, Zeit zu haben, damit sich Dinge im Kopf entwickeln können. In meinem Job ist das größte Problem, dass wir sehr viel Output produzieren, aber auch wieder Input brauchen. Den Kopf frei zu haben für Input ist für mich eine Auszeit.

Für mich ist eine gute Zeit eine Auszeit.

Das kann ein Spaziergang sein in der wunderbaren Natur so wie beim Festival, das kann das Lesen eines Buchs sein, bei dem man sich auf die schöne Sprache einlässt. Da merke ich auch eine Gefahr des Verkümmerns, denn auf Twitter versucht man auf 140 Zeichen alles möglichst knapp darzustellen, aber schöne literarische Sprache ist es nicht.

Was sind Ihre persönlichen FAQs? 

Wie kriegt man die Balance hin? Wie sehr lasse ich mich von Geräten dominieren? Das Handy ist ein Handhirn, es kann eine Hilfestellung sein. Es kann aber auch zum Problem werden, wenn man die Welt nur noch durch dieses Gerät sieht, also wenn man in der Früh auf die Wetter-App schaut statt zum Fenster raus. Ich glaube, da muss man sich manchmal gewisser Dinge wieder bewusst werden. Wie man es schafft, die Abhängigkeit von diesen Geräten zu verringern, ist eine weitere Frage. Wir haben zwar mehr Kommunikationsmöglichkeiten, aber umgekehrt kommunizieren wir weniger direkt, da geht schon was verloren. Die sozialen Medien sind totale Zeitfresser und ich glaube, da muss man selbstbestimmter agieren – man muss nicht immer online sein. Die Zeit hat eine so hohe Wertigkeit, das darf man nicht vergessen.

Ist der Journalismus nicht eine Branche, in der man immer „on“ sein muss?

Der Journalismus ist zwar extrem zeitfressend und bei Breaking News bleibt man in der Redaktion oder kommt wieder rein, aber es gibt auch geregelte Dienste wie den Newsdesk –ein durchgetaktetes Radl, wo man sich dann wieder bewusst ausklinken kann. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen, dass ihnen 30 Stunden pro Woche reichen. Dafür nehmen sie auch ein geringeres Einkommen in Kauf. Wir haben alle Firmenhandys und die Möglichkeit, ständig erreichbar zu sein ist qua Technik gegeben. Die Frage ist, wie geht man damit um – und das obliegt jedem Einzelnen. Ich erwarte nicht von jedem Redakteur, dass er 24 Stunden zur Verfügung steht.

Wie ist es bei Ihnen mit der Work-Life-Balance?

Ich habe keine Work-Life-Balance (lacht). Bei mir dominiert während der Woche die Arbeit.

Als ich vor zehn Jahren gefragt worden bin, ob ich diese Aufgabe (Anm.: Alexandra Föderl-Schmid ist seit 2007 Chefredakteurin des Standard) übernehme, war mir ganz klar, dass ich mein Privatleben jetzt hintanstellen muss. Das ist ein Job, in dem man 24 Stunden erreichbar sein und auch zur Verfügung stehen muss, wenn es notwendig ist. Seit ich Chefredakteurin bin, habe ich mein Handy maximal stundenweise abgedreht.

Eine Frage des FAQ-Festivals lautete „War früher alles besser“? Bezogen auf den Journalismus, was würden Sie sagen?

Ich glaube, wir müssen uns alle auf den digitalen Wandel einstellen, aber dadurch entstehen auch neue Möglichkeiten. Seit die Online-Ausgabe des Standard  dazugekommen ist, haben wir in Summe Print und Online mehr Leser. Die Kannibalisierungsthese (Anm.: die These, dass Leser von Print zu Online wechseln, wenn eine Online-Version alle Printinhalte zur Verfügung stellt), die vor vielen Jahren immer wieder im Raum stand, ist also durch. Jetzt gibt es aber neue Ängste, die nicht nur den Journalismus betreffen, wie zum Beispiel die Frage: Nehmen uns Roboter die Arbeit weg? Der Spiegel hat im September eine Titelgeschichte gemacht mit der These, dass jetzt die Mittelschicht von der Digitalisierung betroffen ist, wenn Rechtsanwalts- und Sekretariatstätigkeiten von Robotern übernommen werden können.

Haben Sie Angst davor, dass Roboter die Rolle von Journalisten übernehmen könnten?

Ich glaube, dass diese Entwicklungen nicht nur negativ sind, sondern dass in ihnen auch eine Chance liegt. Wenn ein Roboter Routinearbeiten wie Fußballtabellen übernimmt, bleibt mehr Zeit für die Kernaufgaben im Journalismus wie Recherchieren und Nachdenken, was zu guten Kommentaren führt. Das größte Problem der Journalisten ist der Zeitmangel, insbesondere in Österreich, weil die Personalausstattung eine viel geringere als etwa in vergleichbaren deutschen Redaktionen ist. Und die Informationen werden immer mehr – aber auch das stärkt den Journalismus, weil Auswahl wieder wichtiger wird. Journalisten selektieren, gewichten und ordnen und machen das, was jetzt neumodisch Faktencheck heißt, beschäftigen sich also mit der Frage: Stimmt die Meldung oder nicht?

Eine andere Tendenz, die sich zeigt, ist, dass man nur noch das liest, was einen interessiert...

... die Filterbubble. Darin sehe ich auch eine Gefahr. Bei der US-Wahl hat man gesehen, dass Algorithmen mittlerweile eine entscheidende Rolle bei der Nachrichtenauswahl spielen. Wenn ich eine Zeitung durchblättere, stoße ich oft auf Artikel, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie lesen will. Wenn ich mich nur in der digitalen Blase aufhalte, lese ich keine anderen Meinungen mehr und hole mir nur Bestätigung. Ich glaube, es ist wichtiger denn je für die Meinungsbildung, auch andere Ansichten zuzulassen, um sich dann ein eigenes Bild machen zu können – und nicht nur diese Like- und Bestätigungskultur zu leben. Denn die erweitert den Horizont nicht.

Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is