Alice Lanzke (c) Jana Sabo // Friendship.is

Wie formt Sprache Wirklichkeit?

Sie ist freie Journalistin, Trainerin und Lektorin. Sprache ist ihr Herzensthema. Ihre Schwerpunktbereiche sind Migration, Diskriminierung und Rassismus. Sie fordert mehr Vielfalt in der Berichterstattung und gendert beim Sprechen, als wäre es das Normalste auf der Welt. Alice Lanzke im Gespräch über die Macht der Sprache.

Bei den Neuen Deutschen Medienmacher*innen setzt du dich für mehr Vielfalt in der Berichterstattung ein. Was bedeutet das im Konkreten?
Wenn wir über Vielfalt sprechen, dann meinen wir das auf zwei Ebenen: zum einen personell – es ist unsere Überzeugung, dass wir mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in den deutschen Redaktionen brauchen. Derzeit sind es in etwa zwei bis vier Prozent. Mit Vielfalt meinen wir aber auch sozialen Hintergrund, sexuelle Orientierung usw. Wir fordern im Grunde, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft auch in den Redaktionen widerspiegelt. Das führt zur zweiten Ebene, der inhaltlichen Ausrichtung: Ich kann nicht adäquat über unsere heutige Welt berichten, wenn ich nicht weiß, was die Menschen beschäftigt. Wir glauben, dass es ein Weg wäre, genau diese Menschen in den Redaktionen zu haben. Deshalb gibt es den Verein.

In Österreich gibt es eine Debatte darüber, ob in der Berichterstattung die Herkunft eines mutmaßlichen Täters genannt werden soll oder nicht.
Hier in Deutschland ist der Pressekodex dahin aufgeweicht worden, dass die Herkunft von mutmaßlichen Täterinnen und Tätern nicht nur genannt werden sollte, wenn sie im Zusammenhang mit der Tat steht, sondern auch wenn ein großes öffentliches Interesse besteht. Das ist schwammig; das ist alles und nichts. Meine Empfehlung wäre, bei der alten Regelung zu bleiben – wenn die Herkunft tatsächlich im Zusammenhang mit der Tat steht, sollte sie genannt werden, sonst nicht. Denn wenn wir so anfangen, dann frage ich mich, warum wir nicht auch die Schuhgröße oder sexuelle Orientierung erwähnen sollten.

Das Problem ist, dass manche Menschen glauben, dass Sprache und Begrifflichkeiten neutral sind.


“Words are events, they do things, change things”, hat die Schriftstellerin Ursula Le Guin mal gesagt. Es ist klar, dass es Auswirkungen hat, was man sagt. Aber warum muss man darauf achten, wie man es sagt?  
Dazu passt auch sehr gut ein Zitat von Viktor Klemperer: ‚Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.’ Das Problem ist, dass manche Menschen glauben, dass Sprache und Begrifflichkeiten neutral sind. Man hat ein Wort, man hat eine Bedeutung, man weiß, wie es richtig geschrieben wird und wie man es grammatikalisch richtig einsetzt – aber das reicht nicht. Aus der Forschung wissen wir, dass Sprache einen riesigen Komplex hintendran hat: Wir können uns nicht freimachen von unserem Vorwissen, unserer Erfahrung und von den Assoziationen, die wir mit bestimmten Begrifflichkeiten wecken. Ein Beispiel: Die Begriffe Flüchtlingsstrom oder Flüchtlingswelle erinnern an Naturkatastrophen, und wir bekommen den Eindruck, es nicht mit Einzelschicksalen zu tun zu haben, sondern mit einer Masse, die uns überrollt.

Der Vorarlberger Schriftsteller Franz Michael Felder hat in einem seiner Texte behauptet: Ein gesprochenes Wort schadet weniger als ein ungesprochenes. Ist Kommunikation wirklich immer „key“ oder kann man Dinge auch zerreden?
Da gibt es diesen Satz, der in den heutigen Debatten sehr oft fällt: ‚Man wird ja wohl noch sagen dürfen’. Darum geht es nicht. Es geht nicht um Verbote oder darum, Dinge zu verschweigen. Eher muss man sich bewusstmachen, dass mit bestimmten Begriffen bestimmte Assoziationen verknüpft sind, die problematisch sein können. Wenn ich das weiß, kann ich mich dafür oder dagegen entscheiden. Ich sollte nur eine gut informierte Entscheidung treffen und mir bewusstmachen, dass ich mit meinem Sprachgebrauch unter Umständen Menschen verletze.


Man muss sich bewusstmachen, dass mit bestimmten Begriffen bestimmte Assoziationen verknüpft sind, die problematisch sein können.


Apropos „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“: Ist es nicht auch mühsam, in diesem Bereich zu arbeiten?
Wenn man in diesem Bereich tätig ist, dann ist man schnell die Spaßbremse. Aber ich finde wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, was man jetzt noch alles sagen darf, sondern wir sollten uns die Frage stellen: Wie könnte man es stattdessen sagen? Dann wird es spielerischer und kreativer. Natürlich ist das Thema anstrengend, aber welches komplexe Thema ist heutzutage nicht anstrengend? Ich glaube, der Unterschied ist tatsächlich, dass Sprache etwas Persönliches und Emotionales ist, etwas das sehr nah an mir dran ist. Und wenn ich das Gefühl habe, mir redet da jemand rein, dann wird’s schwierig. Deswegen würde ich sagen, es geht nicht um Verbote, sondern wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir die Gesellschaft, die wir haben oder haben wollen, sprachlich ausdrücken können.

Deine Meinung zum Thema Gendern?  
In den Medien ist es absolut unüblich zu gendern. Vor ein paar Jahren hätte ich auch gesagt, gegenderte Texte sind nicht gut leserlich. Und dann habe ich mich inhaltlich damit beschäftigt und mittlerweile ist es umgekehrt. Mir fällt es tatsächlich negativ auf, wenn nicht gegendert wird, sei es im gesprochenen Wort oder in Texten. Das heißt nicht, dass ich jedem oder jeder vorschreibe zu gendern. Ich bin keine Sprachpolizistin und will auch keine sein. Aber ich habe für mich diesen Prozess durchgemacht und festgestellt, dass das für mich ein wichtiges Thema ist. Deswegen mache ich das in einem gesteckten Rahmen, denn ich arbeite noch als Journalistin und keine der Redaktionen, für die ich schreibe, würde mir einen gegenderten Text abnehmen.

Text: Martha Miklin
Fotos: Jana Sabo // Friendship.is