Dirk Stermann (c) Ian Ehm // FAQ Bregenzerwald

Von Beruf Stermann

Kabarettist, Moderator, Schauspieler, Autor: Dirk Stermann ist vieles. Aber was entspricht ihm am meisten? Was lässt er in sein Leben? Wann ist er am meisten er selbst und wann am wenigsten? Ein Gespräch über Rollen, traurige Geschichten und den Ort des Schreibens als zweites Leben.

Dein letztes Buch „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“ ist gewollt unwitzig und startet mit einem düsteren Schopenhauer-Zitat. Warum das? 
Das Zitat ist für das Buch ganz wichtig. Es ist eine Geschichte, in der etwas immer schlimmer wird. Die Grundidee war: Es beginnt traurig und wird dann immer trauriger. Und am Ende ist es dann ganz traurig. Ich wollte unbedingt ein trauriges Buch schreiben, weil die Literatur, die ich mir merke, meistens tragisch ist. Als dramaturgischen Faden habe ich die Schmerzskala eines Insektenforschers genommen: Seine Skala geht von 0,0 bis 4,0 und beschreibt die Heftigkeit von Schmerzen, die Insektenbisse auslösen. In meinem Buch reicht sie bis 5,0. Ich versuche aber, die Geschichte nicht nur trist zu erzählen.

Wer das Buch liest, muss oft lachen.
Es kommt immer auf die Erzählweise an. Ich finde, dass man sowohl im Kopf und im Gespräch als auch beim Lesen Freiraum braucht, um nicht von einer Geschichte erdrückt zu werden. Ich finde, dass das Leben, so erdrückend es sein kann, auch immer gute Seiten hat.

Ich finde, dass das Leben, so erdrückend es sein kann, auch immer gute Seiten hat.

Ich bin nicht Ulrich Seidl, der nur bei grauem Himmel filmen möchte. Ich weiß, dass dazwischen auch mal die Sonne scheinen kann.

Du spielst Rollen: Als Kabarettist, Moderator, Schauspieler, Autor. In welcher dieser Rollen fühlst du dich am wohlsten?
Eigentlich beim Schreiben, wenn ich alleine bin. Und ansonsten auf der Bühne, weil sie so unmittelbar ist und nicht wiederholbar. Bei Fernsehen ist so viel Technik dabei und es wird so oft wiederholt – das kann nerven. Radio war auch gut, denn das versendet sich, wie man sagt. Das gibt Freiheit.

Wenn wir von Rollen sprechen: Es gibt ja auch den Spruch “Reading you is another way of meeting you”. Trifft man in deinen Texten am ehesten auf dich als Person?
Schreiben entspricht mir sehr, aber auch da trifft man nicht auf mich, sondern auf mich, der schreibt. Das bin zwar ich der da schreibt, aber in meiner Rolle als Schreibender. Wahrscheinlich bin ich alles zusammen. Meine Tochter hat früher in der Schule als Beruf des Vaters immer ‚Stermann’ angegeben, weil sie sich schwergetan hat, zu sagen, was ich von Beruf bin.

 

Es heißt auch, dass sich die Persönlichkeit durch die Dinge formt, denen man sich aussetzt –  „You are a mashup of what you let into your life“. Was lässt du in dein Leben?
Ich gehe davon aus, dass das Leben dem Chaosprinzip folgt und du Antennen ausfahren musst, um darin verschiedene Dinge, die für dich interessant sein könnten, zu erkennen. Deshalb rate ich jungen Leuten immer, mutig zu sein und eine gewisse Antennenhaftigkeit zu haben, um irgendwas zu finden, was ihnen entsprechen könnte. Das geht nicht nach Plan. Es gab mal so ein Kunstprojekt, bei dem vier Leute eine Zeitlang auf einer kleinen unbewohnten Steininsel vor Stockholm verbracht haben – in Hochzeitskleidern, aber das war wahrscheinlich nur für sich selber, damit sie was zu sehen haben, denn sonst gab es dort nichts. Die Idee war, dass aus Muße und Langeweile etwas entstehen muss. Und das Geile ist, dass du nicht weißt, was dann passiert. Das ist auch beim Schreiben so.

Also gibt es auch beim Schreiben keinen vorgefertigten Plan?  
Wenn ich eine Kolumne schreibe, ist meine Taktik: Ich setze mich hin und stehe erst auf, wenn ich fertig bin. Dabei bin ich total preußisch und das gefällt mir. Ich mag die Müdigkeit, die man beim Schreiben irgendwann hat, oder dass der Rücken wehtut. Dass am Ende immer etwas rauskommt, finde ich total interessant. Es ist klischeehaft, aber beim Schreiben gehen Raum und Zeit verloren und du versinkst in etwas. Es ist nicht abhängig vom Ort, sondern von der Ruhe, die du finden kannst. Das ist derzeit etwas kompliziert, weil ich wieder Vater geworden bin, was natürlich total super ist. Früher hatte ich immer die Vorstellung, dass man zwei Leben braucht, weil man so schnell alt wird. Ich dachte, ich brauche neben Wien einen zweiten Ort, an dem ich leben kann. Und dann bin ich draufgekommen, dass das Schreiben genau so ein Ort ist. Dieser Schreibort ist in Wahrheit das zweite Leben.

Du bist ein Kenner der österreichischen Kultur- und Literaturszene. Was oder wen findest du derzeit besonders interessant?  
Ich finde es interessant, dass wir ein kleines Land sind, aber kulturell so grotesk viel draufhaben, sodass beim Deutschen Buchpreis in der Short- oder Longlist vier Österreicher dabei sind – von der Relation her dürfte das höchstens einer sein. Derzeit glauben alle, Stefanie Sargnagel ist der Heiland. Ich weiß nicht, wie sie damit umgeht, aber ich stelle es mir schwierig vor, wenn du plötzlich die Stimme einer Generation sein musst. Ich finde, dass sie gut schreiben kann, ich lese das auch gern. Ich weiß aber nicht, wie es ist, wenn sie mal einen Roman schreibt. Aber vielleicht muss sie das ja auch nicht.

Welche Frage stellst du dir zur Zeit? Oder anders gefragt: Welche FAQs hast du derzeit?
Dadurch, dass ich wieder Vater eines Babys bin, frage ich mich wie es ist, als Kind aufzuwachsen und mit dem Handy groß zu werden. Ich habe das Gefühl, dass der Verlust der „echten“ Welt gravierend ist – genauso aber auch der Verlust der echten Fremde.

Ich finde gut, das Fremde als fremd erleben zu dürfen – fremd, aber nicht feindlich.

Dadurch, dass man so schnell überall hinkommt, gibt es nichts Fremdes mehr. Alles kommt dir vertraut vor, weil du es aus Youtube-Videos kennst. Am schlimmsten ist, glaube ich, wenn du alles abwinkst im Sinne von „Kenn ich schon, das Nächste bitte“. Ich finde gut, das Fremde als fremd erleben zu dürfen – fremd, aber nicht feindlich.Es ist merkwürdig und unheimlich, dass das Fremde nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung empfunden wird.

 

Zitat in „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“:
Es ist heute schlecht und es wird nun täglich schlechter werden – bis das Schlimmste kommt.
(Arthur Schopenhauer)

Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is; Florian Lechner // Friendship.is; Jana Sabo // Friendship.is