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Wann ist ein Mann ein Mann?

Lisz Hirn will Philosophie im Alltag sichtbar und für die Allgemeinheit verständlich machen. Unter anderem beschäftigt sie sich auch mit Rollenbildern unterschiedlicher Art.
Im Interview spricht sie über die Problematik von Geschlechterrollen, das Durchbrechen von gewohnten Denkmustern und darüber, warum Donald Trump mit Superhelden- Fantasien punkten konnte.

Wenn man über geschlechterspezifische Rollenbilder spricht, muss man eigentlich schon bei der frühkindlichen Erziehung anfangen. Salopp gefragt: „Darf“ man der kleinen Tochter noch das rosa Kleidchen anziehen?
Niemand kann einem das verbieten. Es geht auch nicht um Rosa oder Blau oder um Kleidchen oder Hose. Doch versuchen wir die Frage umgekehrt zu stellen: Würde man das rosa Kleidchen auch dem Sohn anziehen? Und wenn nein, warum nicht? Solange Letzteres als absurd empfunden wird – und das geht mir selbst auch so, ich bin ja auch mit diesen Bildern aufgewachsen –, muss uns bewusst sein, dass da etwas nicht stimmt.

Worin liegt die Problematik, wenn man Kindern klassische Geschlechterrollen aufzwingt bzw. vermittelt?
Wir geben diesen kleinen Menschen gesellschaftlich und auch durch Geschlechterrollen schon so viel vor, dass von Geburt an enorm viel Potenzial von ihnen abgezogen wird. Wenn ich als Mädchen das Gefühl habe, ich kann diese oder jene Sportart nicht ausüben oder bin immer in der Minderheit, dann werde ich mich dort nicht so ausprobieren. Als Bub trau ich mich vielleicht nicht, meine kreativen, sozialen oder pädagogischen Begabungen auszuleben. Wir nehmen uns als Gesellschaft so viel Potenzial weg, indem wir noch sehr „unbestimmte“ Menschen, deren Begabungen wir noch nicht kennen, in ein Rollenkonzept zwingen. Warum spielt es so eine große Rolle, ob in einem Pass „männlich“ oder „weiblich“ steht? Eigentlich sollte das gar keine Bedeutung haben.

Es gibt ja auch Menschen, die sich in den klassischen Geschlechterrollen nicht wiederfinden. Ein Beispiel dafür ist Mavi Phoenix, der sich im Herbst 2019 als Transgender-Mann geoutet hat und auch von der Suche nach seiner Identität erzählt hat. Wie wichtig sind solche Persönlichkeiten?
Sehr wichtig. Und da geht es gar nicht darum, dass man das bis ins kleinste Detail nachvollziehen kann, aber da wird zumindest die viel gerühmte Toleranz herausgefordert. Gut so, solche „Irritationen“ sind wichtig, um zu zeigen, dass wir oft in unseren Gewohnheiten und Denkmustern gefangen sind. Sobald jemand ausschert, sehen wir das gesellschaftlich eigentlich eher als Bedrohung an und verfallen in diesen empörten Tonfall, dass das ja nicht sein darf, und in was für einer Zeit leben wir denn eigentlich. Stattdessen könnten wir es als stellvertretende Möglichkeit sehen, neue Freiheiten für uns selber zu gewinnen. Also auch in anderen Bereichen zu schauen: Wo gibt es Dogmen, die wir durchbrechen können?

Wenn wir zurückkommen zu den sogenannten traditionellen Geschlechterrollen – in deinem Buch „Geht’s noch!“ schreibst du, dass die Emanzipation nicht bei jenen Menschen angekommen ist, die sie wirklich brauchen.
Damit meine ich Frauen, die in sehr konservativen Familienverhältnissen leben, in einem sehr traditionellen Umfeld. Da ist ein Ausbruch nur sehr schwer möglich, außer du brichst mit allem – was wiederum ökonomisch und sozial höchst problematisch sein kann. Natürlich kann ich per Gesetz alle gleichstellen, aber solange wir Systeme haben, die Frauen diskriminieren – beispielsweise unser Steuer- oder Pensionssystem –, haben wir nicht viel erreicht, denn dann bleibt eine Abhängigkeit. Das ist auch für viele Männer nicht erstrebenswert, viele wollen ja auch eine Beziehung auf Augenhöhe und nicht nur der „Hackler“ und Ernährer sein, der am Abend heimkommt, aber eigentlich nicht wirklich was von der Familie hat.

Es gibt aber auch Menschen – Frauen wie Männer –, die in einer solchen Diskussion argumentieren, es sei wichtig, dass „eine Frau noch Frau sein darf“, also auch im Hinblick auf ein traditionelles Geschlechterbild. Was würdest du darauf antworten?
Ich würde erstmal nach der Definition von „Frau sein“ fragen. Die Problematik liegt ja darin, dass man versucht, die Geschlechter zu naturalisieren, wie beispielsweise unsere Ex-Sozialministerin, die gesagt hat, dass es „in der Natur festgelegt“ sei, dass Frauen 75 % der Haushalts- und Pflegearbeit machen. Das ist einer dieser Taschenspieler-Tricks von Konservativen und Rechten, dass sie versuchen, zu beschreiben, was ein Mann ist und was eine Frau ist, und daraus dann moralische Gebote ableiten, im Sinne von: Es ist halt so, dass Frauen diese Arbeit immer schon zum größten Teil und unbezahlt gemacht haben, also soll es halt so sein.

 

Dein neues Buch heißt „Wer braucht Superhelden: Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“. Wer braucht denn Superhelden?
Ich habe da ja absichtlich kein Fragezeichen gemacht. Fakt ist, Superhelden und Helden waren immer Teil unserer Geschichte und zählen zu den wirkmächtigsten Fantasien. Und gerade in den letzten fünf Jahren hat es mich schon beängstigt, wie dieser Mythos des „starken Mannes“ auch politisch wieder aufgeblüht ist und wie ihn sich beispielsweise ein Donald Trump zunutze gemacht hat.

Wie denn?
Man muss sich anschauen, was das für Bilder sind, um welche Art von „Mann sein“ es da geht. Die meisten Superhelden haben ihren Ursprung in den klassischen Helden der Mythologie. Das waren martialische Figuren, körperlich gutaussehende Männer, jederzeit zum Kampf und zur Gewalt bereit. Die modernen Superhelden verfügen heute über übermenschliche Superkräfte, weil ein Achilles könnte selbst mit unglaublicher Tapferkeit und seinem Schwert gegen technologische oder ökologische Katastrophen nicht mehr viel ausrichten. Ein amüsanter Aspekt: Die meisten Superhelden sind durchtrainiert und muskelbepackt, obwohl sie Muskeln für ihre Superkraft gar nicht brauchen. Diese hypermaskuline Vision scheint für viele junge Männer sehr anziehend zu sein.

Ein amüsanter Aspekt: Die meisten Superhelden sind durchtrainiert und muskelbepackt, obwohl sie Muskeln für ihre Superkraft gar nicht brauchen

 

Was macht sie so verlockend?
Da gibt es mehrere Ansätze. Beispielsweise ist durch neue Technologien, durch die Digitalisierung, aber auch durch emanzipatorische Bewegungen dieses bestimmte Männerbild fraglich geworden. Früher konnten Männer mit ihrer körperlichen Stärke punkten, davon ist in Zeiten, in denen jede Maschine stärker ist, nicht mehr viel übrig. Darüber hinaus wird von konservativen Playern auch propagiert, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt den Männern die Arbeitsplätze wegnehmen. All diese Entwicklungen tragen dazu bei, dass es Politiker, die als „starke“ Männer posieren, wieder leichter haben, Stimmen zu rekrutieren, indem sie ihrer männlichen Klientel versprechen, dass die angestammten Privilegien erhalten bleiben.

Es geht als um die Entstehung von hierarchischen Geschlechterbildern beziehungsweise um die Angst vor dem Verlust dieser Hierarchien?
Genau! Aber ich sage keinesfalls, dass Männer das Problem sind, es geht um ein bestimmtes Ideal von Männlichkeit. Wenn diese Männer beispielsweise Gewalt ausüben, wird das oft verharmlost mit „einmal ausgezuckt“ oder „die Hand ausgerutscht“, weil das nach diesem Bild halt in der „Natur“ des Mannes liege. Das lässt sich aber sehr leicht widerlegen, indem man fragt: Zuckt er denn bei seinem Chef auch aus? Nein, er zuckt nur bei den Personen aus, bei denen er das Gefühl hat, dass er es sich aufgrund einer hierarchischen Ordnung leisten kann.

Das Buch „Wer braucht Superhelden: Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“ ist am 20. Februar 2020 im Molden Verlag erschienen.

Lisz Hirns Podcast „Philosophieren mit Hirn“ kann auf allen gängigen Plattformen abgerufen werden.

Das Interview ist im Rahmen unserer Kooperation mit dem Magazin „B’sundrig” von Sutterlüty entstanden. Der Artikel erschien erstmalig in der „B’sundrig”-Ausgabe Mai/Juni 2020.

Text: Matthias Köb
Fotos: Jana Sabo // Friendship.is